Das geschlossene Schulgebäude

Noch immer starrte er wie vergiftet aus den beschlagenen Glastüren, beobachtete die Szene, das Feuer - konnte die Schüsse noch immer laut und deutlich in seinen Ohren hören. Geräusche die er schon so lange nicht mehr hörte, die er nicht mehr hören wollte... nicht in so einer Weise. Nicht so.
Er schluckte hart, atmete tief durch... merkte gar nicht dass er zu fest drückte, erst als Mika sich aus eigener Kraft von ihm drückte, plötzlich innehielt. Mit einer seltsamen Ruhe blickte er der Japanerin in die Augen, schien in den ersten Sekunden nicht zu wissen was er tat... ehe er realisierte dass er sie in den Armen hielt, in einer Weise von der er wusste dass sie es hasste... Abgrundtief hasste.

Sofort ließ er sie los, wandte den Blick ab, zu Boden. Suchte nach Worten. Fand keine. Wollte sich Entschuldigen. Fand die Stimme dazu nicht. Wollte sie berühren, wusste dass er Dinge damit schlimmer machen würde, wollte sie beruhigen -
bemerkte wie sein Herz noch immer rasselte.
Er seufzte, ließ den Kopf hängen.
"... Ziemlich freundliche Gegend hier", murmelte er leise, als ob es etwas alltägliches war, ehe er sie wieder ansah... und der kalte Schimmer in seinen Augen weg war. Stattdessen war da nur Sorge... ausgeprägte Sorge.
"Alles in Ordnung, Mika? Bist du nicht verletzt? H-Hat dich ein Splitter oder so erwischt? D-Du bist nicht versengt, oder??"

Eigentlich war es vergeblich sich gegen Andreis Griff zu wehren.Mika wusste das,hatte mit seiner Kraft schon oft bekanntschaft gemacht,wobei es einmal auf eine Weise gewesen war die sie teilweise immernoch im Schlaf verfolgte,wenn sie nicht von anderen Erinnerungen heimgesucht wurde.
Immernoch suchte sie seinen Blick,immernoch versuchte sie sich von ihm zu drücken...wurde versteinert.
Die Art wie er ihr in die Augen sah,so ruhig...als wären solche Situationen alltäglich.
Schüsse die in ihren Ohren wiederhallten,das Feuer,der ganze Rauch...
Er ist es gewohnt...
Wie immer hatte Mika vergessen das Andrei kein normaler Junge war.Für die Welt nicht,für sie nicht,wobei er für sie besonders auf eine andere Weise war.

Ehe sie in Gedanken versinken konnte,ließ Andrei sie los,sie taumelte einige Schritte zurück und stieß mit dem Rücken an die hinter ihr liegende Wand,wo sie daran gelehnt stehen blieb.
Die Schüsse waren abgeebbt,draußen herrschte wieder Ruhe.
Sie waren wieder die einzigen Personen hier.
Als Andreis Stimme an ihre Ohren drang,bestätigte sie seine Worte mit einem Nicken,ehe ihr Blick den sie aus dem Fenster gerichtet hatte wieder zu seinem Gesicht flog.
Ein kurzer Anflug aufgewühlter Gefühle war in ihren Augen zu erkennen,ehe sie diese wieder einsperrte,wieder nickte.
"Jah,mit mir ist..alles in Ordnung,blos ein wenig schockiert...hast du etwas abgekriegt?Bist du okay?".

Er konnte seinen Blick abwenden. Nicht in dem Moment. Nicht in der Situation. Er konnte, konnte einfach nicht wegsehen, ignorieren... es fühlte sich so seltsam an für ihn. Als ob er etwas getan hätte das falsch war, als ob...
er schluckte heftig, starrte seine Hände an. So vernarbt.
"Lass uns gehen."
Ohne auf ihre Frage zu antworten richtete er sich wieder auf, zupfte seinen Mantel zurecht, ehe er zur Tür glitt, diese wieder öffnete. Sie war leicht warm...
"Mika... vergiss was du heute gesehen hast. Wir waren Zeugen von etwas, das nicht hätte vor unseren Augen abspielen sollen. Wir sind... verwundbar.
Also... bitte schweige wenn dich jemals jemand fragen sollte..."

Eine ungewohnte Kühle lag seiner Stimme bei, klang fast schon... schneidend. Er sah sie an, einzelne Sekunden lang, ehe er sich auch schon wieder abwandte, zuvor ging.
Er war plötzlich so kalt.
Vielleicht weil er eine Seite von sich zeigte die sie hätte nie sehen sollen, nie mehr wieder...

Natürlich war Mika nicht entgangen wie sich Andrei plötzlich von einem Schlag auf den anderen verändert hatte.
Wie kalt er plötzlich geworden war,plötzlich wieder der alte Andrei war,unnahbar.
Sie konnte es intensiv spüren,wie sich seine plötzliche Art in ihr ausbreitete,sie selbst mit Kälte überzog.
Es war ihre Fähigkeit,oder auch "Feinfühligkeit".
Als er sie zurechtwies nickte sie gehorsam,wusste das er sich besser auskannte.Das er Recht hatte,sie wirklich vergessen musste.
Vergessen wollte.

Bevor er ging ruhte sein Blick nochmals kurz auf ihr,wollte seine Worte wohl verdeutlichen.
Dann ging er vorran,öffnete die Tür...Wärme ströhmte ihr entgegen,mit ihr ein ungewohnter Geruch,gespannte Atmosphäre.
Sie folgte ihm Hinaus vor die Schule,überquerte mit ihm den Schulhof.

"...".
Sie wollte etwas sagen,so schien es,hatte den Mund geöffnet während sie neben ihm her ging.Plötzlich,im gehen,lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter,flüsterte etwas.
"...ich hab dich lieb,Andrei...".
Warum sie das jetzt sagte war ihr nicht ganz klar.
Sie hatte es zuvor auf dem Dach schon sagen wollen,hatte sich nicht getraut.
Und er wusste das doch,oder...?

<--- Andreis Wohnung